Jägerheim - Vilmarhaus - Hans-von-Soden-Haus

Das Schicksal des Hoffmannschen Hofgutes am Ortenberg

 

Von Friedrich Dickmann

Als 1847 der Marburger Bahnhof errichtet wurde, verlagerte sich der Schwerpunkt der Stadt in den Norden. In schneller Folge entstanden der Afföller, das Bahnhofs- und Biegenviertel und die Kliniks- und Institutsbauten der Philipps-Universität rings um die Elisabethkirche. Sie machten schließlich den Abbruch des Jahrhunderte alten Deutschordensgutes an der Elisabethkirche notwendig, von dem heute nur noch einige Reste nördlich der Kirche erhalten sind. Am meisten profitierte von dieser Entwicklung Gutsbesitzer Eduard Hoffmann, dessen Großvater Wilhelm den Marburger Deutschordensbesitz mit den weitläufigen Ländereien 1810 von dem Königreich Westfalen gekauft hatte.

An der Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts entschloss sich Hoffmann, den Gutsbetrieb an den Ortenberg zu verlegen. Dazu musste eine feste Straße angelegt werden, die spätere Ortenbergstraße, die 1984 in Rudolph-Bultmann-Straße umbenannt wurde. Das Baugelände stellte Hoffmann, die Straße baute die Stadt und für die Überbrückung der Bahn mit einer hohen Aufschüttung sorgte der preußische Staat. Der Bahnübergang, der sich nördlich von der Baustelle befand und auf einigen historischen Ansichten von Marburg noch zu sehen ist, war überflüssig geworden und wurde geschlossen. Eines der Bahnhäuser, das sich an dem Übergang befunden hatte, steht heute noch, versteckt unter wild wachsendem Baum- Und Buschwerk, im Gelände des Kulturzentrum Waggonhalle am ehemaligen Bahnbetriebesgelände des Hauptbahnhofs. Aus der geplanten Lahnüberbrückung hinüber zur verlängerten Biegenstraße ist nie etwas geworden.

Um 1900 beauftragte Hoffmann die Marburger Architekten Eichelberg & Dauber mit der Errichtung eines großzügigen Wirtschaftshofes der Großscheune, Stallungen, Dienstwohnungen, und ein repräsentatives Gutshaus umfassen sollte.. Das geräumige Gutshaus war mit viel phantasiereichen Fachwerk in dem für die Gründerzeit typischen Mischstil aus Renaissance und Gotik entworfen und ausgeführt worden. Dachgauben mit spitzen Helmen und spitzgedeckte Türmchen und Erker verliehen dem Gebäude einen schlossartigen Charakter. Nicht zuletzt verstärkten steinerne Treppenaufgänge mit massigen Sandsteingeländern, eine große Terrasse mit einer gedeckten Laube auf der Sonnenseite des Hauses und ein kleiner Park um das Anwesen diesen vornehmen Eindruck.   Es war deutlich zu sehen: hier hatte eine reiche und einflussreiche Person gebaut.

  

Sehr lange ist das große Gut nicht mehr betrieben worden. Der Erste Weltkrieg und die nahfolgende wirtschaftliche Krisenzeit kamen, und zwangen zum Verkauf des Anwesens. Im zweiten Jahr des Weltkrieges 1915 regten der Fabrikant Bertram Schäfer und der Marburger Bankier Baruch Strauß die Gründung eines Invalidenheimes für verwundete Schützen und Jäger des Deutschen Heeres in Marburg an. Wegen der Spezialeinrichtungen der Universitätskliniken sammelten sich in Marburg die im Gaskrieg blind Geschossenen an, was zur Gründung der späteren Blindenstudienanstalt führte. Auch Hirn- und Kopfverletzt wurden in der Nervenklinik und im großen psychiatrischen Krankenhaus an der Cappeler Straße behandelt und betreut.

  

Der Gedanke einer Heimgründung für diese und andere Verwundete fand Deutschlandweit ein großes Echo. Schon 1916 war das Vermögen des Vereins auf nahezu 200.000 Mark angewachsen. Eine mildtätige Stiftung wurde in das Leben gerufen, die nicht nur in den preußischen Provinzen, sondern auch in zahlreiche deutschen Ländern namhafte Sponsoren fand. 1916/17 konnte im Zuge der Auflösung des Hoffmannschen Gutes das Gelände der heutigen Zahnklinik ein Grundstück erworben werden, das nahezu bis hinunter zur Bahn reichte. Immerhin war das Vermögen der Stiftung in der Mitte des Jahres 1917   auf 350.000 Mark angewachsen.

  

Man plante eine umfangreiche Sanatoriumsanlage großen Gebäuden und einer terrassenförmigen Parkanlage mit Balustraden, Hecken und Treppen. Der Marburger Maler und Jugendstilzeichner Otto Ubbelohde hat in der Zeitschrift “Hessenkunst 1918” die Anlage skizziert, die in Planung und Ausführung von den kaiserlichen Hofbaurat Prof. Bodo Eberhardt aus Berlin durchgeführt werden sollte. Der Grundstein war bereits gelegt, doch im Zuge des immer totaler werdenden Ersten Weltkrieges wurde die Bauausführung zugunsten einer unter General Ludendorff stehenden zentralen Kriegs- Wohlfahrtspflege untersagt. Der Stiftungsvorstand verzichtete daraufhin yuf den Neubau eines Heimes, der wegen der zunehmenden Teuerung des Krieges ohnedies nicht mehr möglich war. So wollte man sich im Herbst 1918 mit dem Ankauf des frei gewordenen Hoffmannschen Gutshauses zur Einrichtung eines Jägerheimes für Verwundete begnügen. Doch im November 1918 kam das Kriegsende und der Zusammenbruch des Kaiserreiches. Das Marburger Schützen- und Jägerbataillon wurde aufgelöst. Damit entfielen die Träger und Sponsoren der Stiftung und überhaupt der ganze Stiftungsgrund. Dazu kam, dass im Frühjahr 1919 die Stadt Marburg das Hoffmannsche Gutshaus beschlagnahmte, um dort das Finanzamt unter zu bringen. Das aber blieb nur eine Episode, denn schon im Frühjahr 1920 teilte der Stiftungsvorstand mit, dass es gelungen sei, aus der Hoffmannschen Villa ein Ferien- und Erholungsheim für Kinder und Erwachsene zu schaffen. Träger und Sponsoren für dieses Heim haben sich in den Reihen der ehemaligen Marburger Jäger, aber auch in den Verbänden der Forstleute, Waldbesitzern und Jagdpächtern gefunden. Am vierten Marburger Jägertag im Jahre 1924 öffnete das Heim seine Tore.

  

Siebzehn Jahre konnte das Jägerheim unangefochten geführt werden. Doch am 2. Februar 1941 übernahm die Behörde des “Reichsjägermeisters” Göring die Trägerschaft des Heimes. Die Stiftung wurde aufgelöst. Noch über das Kriegsende hinaus diente das Jägerheim seit 1942 als Lazarett. 1945 fiel das Jägerheim als ehemaliger NS.-Besitz in die Hände der Stadt. 1948 wurde das Gebäude für 178.000 RM an die evangelische Kirche verkauft, die in der Villa die Dienstwohnung des Studentenpfarrers, einige Studentenzimmer und die Aufenthaltsräume der Studentengemeinde einrichtete. Die Neueinrichtung erhielt den Namen Vilmarhaus. 1962 kam die Villa für den Neubau des Hans-von-Soden-Hauses unter die Spitzhacke.. Lediglich das auf demselben Gelände neu errichtet Studentenwohnheim blieb bei dem Namen Vimarhaus.

  

Der unterhalb der Villa liegende große Wirtschaftshof wurde 1926 Reitinstitut der Universität mit Stallungen, Scheune und Wohnung des Reitlehrers. Bei dem großen Angriff auf den Marburger Hauptbahnhof am 22. Februar 1945 wurde der Hof total zerstört. Der Institutsbetrieb wurde eingestellt. Die ehemalige große Scheune, die als Reithalle gedient hatte, konnte 1948 repariert werden. Sie wurde zunächst einem privaten Transportunternehmen überlassen, später von der Bahn zum Einstellen ihrer Busse benutzt. 1957 entstand auf dem Gelände das Fernheizwerk der Universität und die klinische Waschanstalt. Das Fachwerkhaus des einstigen Gutsverwalters steht heute noch. Es diente bis zur Eröffnung des Gemeindezentrums Ortenberghaus im Jahre 1963 der Elisabeth-Kirchengemeinde als Pfarrhaus und Gemeindesaal.

 

 

 

 

 

Quellen 

Agel, G.: Kurze chronologische Geschichte des Marburger Jägerheims. Flugblatt des Traditionsverbandes Marburger Jäger o. O. und o. J.

 

Von Broke, B.: Marburg im Kaiserreich 1866-1918. Marburger Geschichte in Einzeldarstellungen hg. v. E. Dettmering u.a. Marburg 1980

 

Fritsche Werner, Hardt, Joachim, Schade Karlheinz: Universitätsbauten in Marburg 1945-1980, Marburg 2003

 

Seier, Hellmut: Elisabethkirche, Deutschordensgut und “Hoffmannsche Angelegenheit” in Elisabeth, der Deutsche Orden und ihre Kirche Marburg 1983

 

Mündliche Mitteilungen von Erwin Schermuly.