Zur Entstehung des Philippshauses
Vortrag anlässlich der Einhundertjahrfeier des Gebäudes
Gehalten daselbst am 2. Juni 2012
Von Friedrich Dickmann
Im Jahre 1904 gedachte man des vierhundertsten Geburtstages Landgraf Philipps von Hessen. Der Landgraf hatte sich bei der Einführung der Reformation in Hessen für alle protestantischen Richtungen seiner Zeit offen gehalten und die Predigtstellen der Gemeinden und die Lehrstühle seiner neugegründeten Landesuniversität mit Vertretern sowohl Wittenberger, als auch Züricher und Straßburger Prägung besetzt. Das evangelische Marburg teilte sich noch nach dem Zweiten Weltkrieg in eine reformierte und eine lutherische Gemeinde mit dem Namen Philippshaus ins Leben zu berufen, da sich beide Konfessionen in Ihrer Entstehung auf den Landgrafen berufen konnten.
Am 28. Oktober 1904 konstituierte sich ein „Ausschuss Philippshaus“ dessen Mitglieder in Marburg einen klangvollen Namen hatten. Auf lutherischer Seite waren es u. a. Superintendent Happich, der Kirchenhistoriker Prof. Mirbt, Kaufmann Spoerhase, Bauunternehmer Weißhaupt und Universitäts-Buchhändler Braun. Auf reformierter Seite nahmen teil: Pfarrer Dr. Scheffer von der Universitätskirche, Vizebürgermeister a.D. Sieburg, Hauptlehrer Achler von der Knaben-Bürgerschule und Regierungsbaumeister a.D. Saardemann. Man beschloss eine Satzung nach dem Vorbild des Hessischen Brüderhauses Hephata und legte für den 12. November 1904, dem Vorabend des Geburtstages von Landgraf Philipps, die Grünungsversammlung eines „Vereins Philippshaus“ fest, der auch an diesem Abend ins Leben gerufen wurde. Kernsatz der Satzung ist: „Der Verein hat den Zweck, für alle Bestrebungen evangelischer Liebestätigkeit in Marburg den Mittelpunkt zu bilden, vor allem Vereinen und Verbänden, die diesem Ziel dienen, eine Heimstätte zu bieten.“ Finanziert werden soll das Projekt Philippshaus durch Zuschüsse beider Gemeinden, durch Spenden und aus Erträgen für die Vermietung der Räume. Maximal soll der Verein aus fünfzig Mitgliedern unbescholtener Personen beider Gemeinden bestehen. Ein siebenköpfiger Verwaltungsrat leitet den Verein. Der geschäftsführende Vorstand besteht aus drei Personen, paritätisch aus gewählten aus der lutherischen und reformierten Gemeinde, die Vorsitzenden beider Kirchenvorstände haben sich im Vorsitz abzuwechseln. Am 07. Juni 1905 wurde der Verein Philippshaus in das Vereinsregister des Königlichen Amtsgerichtes zu Marburg eingetragen und am 23. November fand die erste Sitzung des Verwaltungsrates statt.
In dieser Sitzung ging es vor allem darum, ein geeignetes Gebäude für das geplante Gemeindehaus zu finden. Regierungsbaumeister Sardemann wusste zu berichten, dass das Physikalische Institut im Dörnberger Hof am Renthof demnächst frei würde, da auf dem gegenüberliegenden Gelände des abgerissenen Renthofes ein neues Institut erbaut werden soll. Der Physiker Prof. Richarz betreibe mit Nachdruck den Plan des Neubaus und setze sich wärmstens für den Verkauf des alten Institutsgebäudes ein. Der Verwaltungsrat beauftragte Pfarrer Scheffer, sich diesbezüglich mit dem Preußischen Kultusministerium in Verbindung zu setzen.
Wenige Wochen später teilte Sardemann mit, Preußen fordere für das Anwesen des Dörnberger Hofes 70 bis 85.000 Goldmark. Da dies Geld noch nicht vorhanden ist, sind Mitglieder des Vorstandes und Verwaltungsrates bereit, für diese Summe persönlich zu bürgen, so etwa der Bauunternehmer Weißhaupt oder Kaufmann Spoerhase, der auf der Neustatt ein großes Textilgeschäft betrieb. Am 5. Februar 1907 teilte Sardemann dem Verwaltungsrot mit, dass der Preußische Staat dem Vorhaben Philippshaus seht wohlwollend gegenübersteht und den Doernberger Hof für 65.000 Goldmark hergeben will.
Ausführlich besichtigte der Verwaltungsrat das Gebäude und dachte über seine Nutzung nach. Man hatte hochfliegende Pläne mit dem großräumig angelegten Gebäude. Man dachte im Zusammenhang mit dem St. Elisabethverein an die Einrichtung eines Wohnheims für stellenlose Mädchen, an eine Kinderklinik für Kinder mittelloser Familien, verbunden mit einer Ausbildungsstätte für Kinderschwestern, alles betreut von dem Kasseler Diakonissenhaus. Auch die Einrichtung eines Heims für rachitische Kinder wurde erwogen und sogar die Einrichtung eines eigenen Diakonissen-Mutterhauses.
Aber der Preußische Staat hielt den Verein Philippshaus hin. Schließlich ließ er im Jahre 1909 wissen, dass das geplante Pysikalische Institut erst in den Jahren 1913-1915 gebaut wird. Damit erloschen alle schönen Pläne des Vereins. Die lange Wartezeit, in der nichts geschah, hat dem Verein sehr geschadet. In der Verwaltungsratssitzung am 28. September 1909 musste Pfarrer Scheffer mitteilen, dass der Verein offenbar völlig nutzlos sei. Alle Werbung für den Verein sei bis jetzt vergeblich. Man habe noch nicht einmal die satzungsgemäß vorgeschriebene Mindestzahl von 18 Mitgliedern erreicht. Man wusste: Zur wirksamen Mitgliederwerbung gehört zumindest in Grundstück auf dem der geplante Bau errichtet werden soll.
Bauunternehmer Weißhaupt, der auf dem Gelände des ehemaligen Deutschordensgutes das Biegenvierte errichtete, schlug ein Grundstück in der Heusingerstraße vor. Doch das Projekt scheiterte an den Schwierigkeiten der Kanalisationsanlage. In Frage kam auch das Anwesen des Oberlehrers am städtischen Realgymnasium Hölzerkopf. Es befand sich auf dem Gelände des Kunstinstituts und Museums an der Biegenstraße, bestehend aus einem geräumigen Haus und einem großen Schuppen. Doch die Stadt machte für die Universität ihr Vorkaufsrecht geltend, weil schon damals auf diesem Gelände das Museum geplant war.
Im Spätsommer 1909 bot sich die Gelegenheit, das Flurstück „Im großen Kitzfeld“ zwischen Haspel- und Bismarckstraße zu erwerben. Es gehörte dem Bauunternehmer Ziggel. Die Baufirma Reising & Ziggel war bereit, das Grundstück für 25.000 Goldmark zu verkaufen und auch den Bauauftrag für das Haus erhält. Zimmermeister Block in der benachbarte Bismarckstraße lässt den Kanalisationsgraben für das Philippshaus über sein Grundstück führen, erhofft sich für diese Gefälligkeit aber, die Zimmerarbeiten für den Bau zu erhalten.
Nun, da das Grundstück vorhanden war, konnte man für die Finanzierung des Baus werben. Prof. Mirbt verhandelte mit dem lutherischen und reformiertern Presbyterien. Die lutherische Gemeinde erklärt sich bereit, jährlich 1000 Goldmark und die reformierte jährlich 900 Goldmark zu geben. Der Landesverband für Innere Mission gibt 10 Jahre lang 500 Mark, und auch die Landeskirche stellte eine namhafte Summe in Aussicht.
Im November 1909 erfolgt ein großer Spendenaufruf für das Philippshaus. Es konnten Anteilscheine von 100 bis 1000 Mark erworben werden, die der Verein 1917 wieder einlösen will. Benefizkonzert für das Philippshaus einheimischer und auswärtiger Chöre und Orchester fanden statt und auch ein großes Konzert von Universitäts-Musikdirektor Jenner. Die Gemeindepfarrer beider Konfessionen verpflichten sich für jährlich 200 Gemeindebesucher zu Gunsten des Philippshauses, macht bei 5 Gemeindepfarrer in Marburg tausend Besuche. Auch die Damen der Marburger Gesellschaft führten in ihren Bekanntenkreisen derartige Besuche sehr erfolgreich durch.
Das nötige Geld kam zusammen. Im November 1910 erhält Baudirektor Sardemann den Auftrag, einen Baubedarfsplan zu erstellen. Das Philippshaus soll einen großen Theatersaal mit entsprechender Gastronomie erhalten, Räume für Gruppen und Vereine, eine Heimstätte für junge Angestellte, Arbeiterinnen ohne Familienanschluss, und Studentinnen. Wohnung soll eingerichtet werden für alleinstehende alte Damen und christliche Hospitz. Wichtig war auch die Gottesdienststätte für Gemeindeglieder, die den Schlossberg nicht mehr ersteigen konnten. Das ganze Haus sollte nach neuster Technik mit Dampf beheizt und mit Gas und Strom beleuchtet werden. Am 7. Mai billigt der Verwaltungsrat den Baubedarfsplan und fordert zum Architektenwettbewerb auf. Den Zuschlag erhielten die Architekten Eichelberg & Dauer, die auch ein Modell des Hauses erstellten. Am 1. April 1911 erfolgte die Grundsteinlegung.
Reissing & Ziggel leisteten die Maurerarbeiten, die Zimmerarbeiten erledigt Nachbar Block aus der Bismarckstraße, die Dächer deckte Dachdecker Nikolaus Schuchardt aus Weidenhausen und für die Verglasung sorgte die Firma Bamberger von Schuhmarkt. An der Inneneinrichtung des Hauses beteiligten sich beinahe alle Marburger Firmen. Die Apotheker Strippel von der Ockershäuser Allee und Schollmeyer von der Schwanapotheke stiften das große landgräfliche Wappen über dem Haupteingang des Philippshauses, das von Buldhauer Paffrat angefertigt wurde. Die Putten über den Haupteingängen und die Jugendstilköpfe über den Fenstern der Unterstockes stammen aus Gemeindespenden.
Am Samstag, den 16. Juni 1912 konnte das Haus feierlich eingeweiht werden.
Quellen: Protokollbücher des „Vereins Philippshaus“ 1904-1912