Franz Liszt in Marburg

 

Von Friedrich Dickmann

 

Das Liszt-Jahr sollte nicht verklingen, ohne daran erinnert zu haben, dass der berühmte Komponist auch unsere Stadt Marburg besucht hat. Dies geschah anlässlich der großen 600-Jahrfeier der Elisabethkirche, die am 1. Mai 1883, dem Weihetag der Kirche und auch schon einige Tage vorher, mit Publikationen, Vorträgen, Festgottesdiensten, Festzügen und Festspielen begangen wurde. Die beiden Marburger Lokalzeitungen, die “Oberhessische Zeitung” und das “Marburger Tageblatt,” haben die Feiern auf Schritt und Tritt begeleitet, so dass wir heute sehr genau über den Verlauf der Feiern unterrichtet sind.

 

Höhepunkt der Feierlichkeiten sollte am Spätnachmittsg des 1. Mai die Aufführung des Oratoriums “Die Legende der Heiligen Elisabeth” von Franz Liszt sein, die schon seit vielen Monaten von Universitäts-Musikdirektor Friedrich Otto Freiberg mit dem Chor des “Academischen Concert-Vereins” der Philipps-Universität einstudiert wurde.. Beide Marburger Zeitungen wissen zu berichten, dass der Chor des “Academischen Concert-Vereins” durch Sänger und Sängerinnen des Gießener Konzertvereins und einiger Marburger Chöre verstärkt wurden, so dass ein Chor von rund dreihundert Personen zusammenkam. Das Orchester stellte das 83. Infanterieregiment in Kassel und das Kasseler Theaterorchester. Leider kann die Aufführung, so die Presse, aus akustischen Gründen nicht in der Grabeskirche der Heiligen Elisabeth stattfinden, sondern wird in der Lutherischen Pfarrkirche zu hören sein. Als besondere Sensation meldete das “Marburger Tageblatt”, dass bei der Aufführung des Oratoriums der Komponist höchst persönlich anwesend sein wird. Zur Vorbereitung der Oratoriumsaufführung druckten beide Marburger Zeitungen eine Kritik der “Berliner Kreuzzeitung” über eine Aufführung des Oratoriums in Berlin ab, in welcher der inhaltlich und musikalisch das Musikwerk dem Publikum vorgestellt wurde.                                                                

 

Das Interesse an der Oratoriumsaufführung war in Marburg sehr groß. Am 24. April waren schon keine Karten mehr für die Aufführung erhältlich. Die “Oberhessische Zeitung” empfahl deshalb, die Generalprobe am Abend des 30. April in der Pfarrkirche zu besuchen.

 

Unter der Überschrift “Zu Liszts Empfange” brachte das “Marburger Tageblatt” am 29. und 30. April in zwei Fortsetzungen Ausschnitte aus der großen Liszt-Biographie von Ludwig Nohl, die demnächst im Reclam-Verlag zu Leipzig erscheinen soll. Der bekannte Heidelberger Musikwissenschaftler schildert darin Franz Liszt als Erneuerer religiöser Musik.

 

Gegen sieben Uhr abends traf Franz Liszt von Weimar kommend am 30. April auf dem Bahnhof Marburg ein. Nicht nur die Verehrung St. Elisabeths verband den Komponisten mit Marburg, sondern auch sein Neffe Franz von Liszt, einem der bedeutendsten Rechtsgelehrten der Marburger Philipps-Universität. Professor von Liszt wohnte damals im Haus Schwanallee 15. Das Haus steht heute nicht mehr und befand sich direkt neben dem inzwischen auch aufgegebenen Rex-Kino.

 

Bei seinem Neffen nahm der Komponist Quartier. Dr. Julius Kapp berichtet in seiner Liszt-Biografie, die 1922 erschien, dass der Neffe zu Ehren seines Onkels ein Festmahl gab, bei dem Franz Liszt seine Des-dur-Etüde zu Gehör brachte. Trotz der späten Stunde ließ es sich der Komponist nicht nehmen, noch abends um neun Uhr die Generalprobe zum Elisabeth-Oratorium in der Pfarrkirche zu besuchen. Er wurde dort mit großem Jubel empfangen. Universitäts-Musikdirektor Freiberg stellte ihm die Mitwirkenden vor, die ein Hoch auf den Besucher aus Weimar ausbrachten.                    

 

Nachmittags um ½ 5 Uhr wurde dann am 1. Mai 1883 in der überfüllten Pfarrkirche das Oratorium in Anwesenheit des Komponisten zu Gehör gebracht. Die Beschreibung des Konzertes in der “Oberhessischen Zeitung” am 3. Mai 1883 lobte in erster Linie Musikdirektor Freiberg, der so viel Freude und Eisatzbereitschaft bei den Mitwirkenden hervorgerufen hatte. Besonders wurden auch die Leistungen der Sopranistin Marie Breidenstein aus Erfurt, welche die Elisabeth sang und die Basspartien des Mitgliedes des “Academischen Concertvereins” Dr. Franz Tuczeks hervorgehoben. Nach der Aufführung soll Liszt mit Tränen in den Augen Musikdirektor Freiberg mehrmals umarmt haben, um ihm für die eindrucksvolle Aufführung zu danken.

 

Die Mitwirkenden der Aufführung begaben sich anschließend zu einem Empfang in den Quentinischen Saal am Steinweg. Heute befinden sich dort die Kammerlichtspiele. Hier begrüßte Fräulein Helene Fuchs vom “Academischen Concerverein” den Ehrengast Franz Liszt mit einem Gedicht und einem Lorbeerkranz. Der Wortlaut des Gedichtes ist durch die Presse bis heute erhalten geblieben:

Seit Monden in unserem Kreis gebannt

Vereinigte zu künstlerischster, freister Betätigung

Dein Genius die Geister,

War´s Deine Schöpfung, die uns eng verband,

Nun kommst Du selbst .- von Dir belauscht,

Empfand sich jede Stimme würdiger und dreister

Und sang es nach, was Dir, geliebter Meister

Die Seele schwellte, als dein Werrk entstand.

Ob wir genug Dir thaten -

Ob Du Dich wiederfandest ganz in unsren Tönen? -

Wir wissen´s nicht - und reichen Dir den Kranz,

Und danken innig -

Du verliehst dem schönen

Elisabethtag höheren Glanz,

und mit dem Lorbeer wollen wir Dich krönen.

 

Der Vorsitzende des “Acadmischen Cocertvereins” Prof. Lucä ließ Franz Liszt hochleben und Gymnasiallehrer Müller verlas eine Laudatio auf Musikdirektor Freiberg. Gespannt lauschte die Versammlung dem Marburger Kaufmann Majerus, der erzählte, wie er 1878 eigens nach Hannover reiste, um das Elisabeth-Oratorium von Liszt zu hören. Damals habe er nicht zu hoffen gewagt, das Werk jemals in Marburg erleben zu dürfen. Und nun sei es doch wahr geworden, viel größer und schöner als je erträumt. Majerus schlug vor, auch das Christus-Oratorium von Franz Liszt in Marburg aufzuführen.

 

Inzwischen war es ½ 10 Uhr geworden. Franz Liszt verabschiedete sich mit vielen Dankesworten, um nach Leipzig weiter zu reisen. Man war sich einig: Liszts Besuch in Marburg war die Krönung der Jubiläumsfeiern um die altehrwürdige und berühmtes Grabeskirche St. Elisabeths.