„Im Zuge einer ‚Entrestaurierung’ der Elisabethkirche von neugotischen Elementen wurden auch diese Figuren im Uhrengiebel 1930/31 entfernt“
„Im Zuge einer ‚Entrestaurierung’ der Elisabethkirche von neugotischen Elementen wurden auch diese Figuren im Uhrengiebel 1930/31 entfernt“

Entsorgte und vergessene Kunstwerke in der Elisabeth Kirche

 

Von Friedrich Dickmann und Dieter Woischke

 

Unter dem 24. Mai 1879 erschien ein Artikel in der" ober hessische Zeitung", der hier in vollem Wortlaut wiedergegeben werden soll:

 

dem Redaktionskreis geht von hier folgende Bericht zu: Die St. Elisabethkirche hat ihrem Prachtliebe zwischen den beiden Westfirmen, einen Schmuck erhalten, dessen sie Jahrhunderte lang entbehrt. Die alten Baumeister hatte nämlich an dem Mittelfenster dieses Gipfels Consolen vorgesehen, die bis jetzt noch der darauf zustellenden Figuren harrten. Die Königliche Staatsregierung hat sich neuerdings bereit finden lassen, eine namhafte Summe zu bewilligen, diesen Schmuck nachträglich anzubringen und so den Gedanken der alten Meister zu verwirklichen. An den alten Domen finden sich vielfach an zu hervorragenden stellen die grobe des segnen den Weltteillandes mit den Aposteln Petrus und Paulus, die Verkündigung des Heils in aller Welt bezeichnend, angebracht. Diese Gruppe wurde auf vier gewählt. Sie ist entsprechend dem Material des Westgiebels in rothem Sandstein im Atelier des Herrn Bildhauers Schönseifers hier selbst ausgeführt, während die Modelle hierzu der Dombildhauer Fuchs in Köln, der mit der Ausführung des figürlichen Schmuckes am Kölner Dom betraut ist, lieferte. Und im Übrigen scheint man sich des Umstandes zu erinnern, dass die Restauration nur begonnen, aber nicht vollendet ist. Vor entbehrt sie im Inneren der Fortführung der von dem früheren Restaurator Herrn Prof. Lange, begonnenen bunten Verglasung. Neuerdings ist diese Arbeit wieder aufgenommen und schon sieben neue Fenster, nach Maßgabe der alten ornamentalen Muster, in den Kreuzschiffen eingesetzt. Erst nach Vollendung der bunten Verglasung in der ganzen Kirche wird das innere wieder einen einigermaßen befriedigenden Anblick gewähren, da der Anstrich der ersten Restauration sehr nüchtern ausgefallen ist. Schließlich darf eine kleine Arbeit in der Kirche nicht unerwähnt bleiben, die möglicherweise für die Marburger Töpferkunst, die im übrigen ja rühmlich weit und breit bekannt ist, günstige Folgen haben dürfte. Es ist nämlich in der Kapelle, in welcher der hoch berühmte Sarg der Heiligen Elisabeth steht, von einem hiesigen Töpfermeister einen Tonfliesenfußboden hergestellt, der ganz getreu einem aus dem 13. oder 14. Jahrhundert herrührenden, in der hiesigen Schlosskapelle befindlichen Mosaikfußboden nachgebildet ist. Derselbe besteht aus kleinen, verschieden geformten, in Cement gelegtem Thonfließen, die hart gebrannt und auf der oberen Seite in verschiednen Farben, sogar mit Einlagen, glasiert sind. Diese Stückchen Fans zu ansprechenden Mustern vereinigt und liefern für diesen Zweck einen Fußboden, der die Eleganz eines Teppichs mit der Dauerhaftigkeit des Steines vereinigt. Man ist in neuerer Zeit verschiedenen solche Fußböden aus dem Mittelalter auf die Spur gekommen, so zum Beispiel im Kloster Eberbach im Rheingau und im Kloster Arnstein an der Lahn, und rühmt die Reichhaltigkeit der Muster und Zweckmäßigkeit der Technik und wird deßhalb angenehm überrasch, einen solchen Fußboden hier reproduciert zu finden.

 

 

Wertvolle Hinweise auf das Schicksal verschwundener und vergessener Kunstwerke der Elisabeth Kirche liefern der Katalog "700 Jahre Elisabeth Kirche in Marburg" Bd. 1 mit dem Titel "die Elisabethkirche – Architektur in der Geschichte" und die 2006 erschienene Stadtschrift Margret Lemberg "die Chorschranke in der Marburger Elisabethkirche".

 

Danach verschwanden in den dreißiger Jahren die drei Westgiebelfiguren und wurde 1944 bei Niedrigwasserstand im Mühlgraben, der am Deutschen Haus vorbei fließt zum letzten Male gesehen. Vielleicht sind sie noch heute dort, tief im Schlamm vergraben. Extrem gegen der 1930/31 mit der Restaurierung der Elisabeth Kirche beauftragte Regierungsbaurat Hubert Lüdcke vor. Er wollte die Kirche von allem neu gotischen Stuck befreien. So entfernte er die neugotischen Lettnerfiguren, die heute noch im ehemaligen Archivraum des Deutschen Ordens über der Sakristei mit dem Elisabethschrein aufbewahrt werden. Die große Kreuzigungsgruppe über den Triumphbogen des Lettners mit den bunt bemalten Figuren Marias und des Jüngers Johannes hätte gerne die Kirchengemeinde Zierensberg übernommen, doch mit dem Hinweis auf die angeblich künstlerische in der Wertigkeit der Figurengruppe lehnte Lüdcke ab, so dass sie in einer Nische des Pfarrganges landeten, wo sie noch nach dem zweiten Weltkrieg zu sehen waren. Die neu gotische Madonna am Pfeiler des Mittelschiffs verschwand spurlos, obwohl ihre Beibehaltung ausdrücklich vom Kirchenvorstand gewünscht wurde. Allerdings trat 1935 an ihre Stelle eine würdige spätgotische Madonna als Leihgabe des Deutschen Museums zu Berlin. Baurat Lüdcke lehnte auch 1931 empört das Ersuchen des Marburger Museumsleiters Albrecht Kippenberger ab, abgebaute neugotische Figuren und Ornamente aus der Elisabeth Kirche als Beispiele nazarenischer Kunst die kunsthistorischen Institut zu überlassen

 

Erstaunlich ist, dass nach dem Artikel in der "Oberhessischen Zeitung "die Buntverglasung des Elisabeth- und Landgrafenchores, die von dem Restaurator Prof. Lange in der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgesehen worden war, erst nach 1870 in Angriff genommen wurde. Der letzte Kurfürst Friedrich Wilhelm hatte sich bei einem Besuch der in Restauration befindliches Elisabethkirche 1857 gegen jede Buntverglasung ausgesprochen, so dass sie erst erfolgen konnte, als Marburg nach 1866 preußisch wurde.

 

Nicht weniger rigoros ging man auch noch in unserer Zeit mit anderen neu gotischen Kunstwerken des 19. Jahrhunderts um. Dazu gehört der Abriss des von langer entworfenen neu gotischen Orgelgehäuses von 1859, der im Jahre 1963 erfolgt. Im gleichen Jahr wurde auf das große neugotische Westfenster über der Orgel zerschlagen. Es musste eine Neugestaltung des Fensters durch Professor Georg Meistermann weichen. Dass figürliche Westfenster war 1877/78 Universitätsbaumeister Karl Schäfer entworfen worden und stellte im Mittelteil der sechs Felder Meister Konrad von Thüringen in Ordenstracht als Stifter der Kirche dar, der das Kirchenmodell kniend der Muttergottes mit dem Kind darreicht, während St. Elisabeth befürwortend und zur Seite steht. Das nördliche Doppelfeld des Fensters zeigt die Verkündigung Marias und das südliche Doppelfeld die Begegnung Marias mit Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers. Man hat es mit der Entsorgung dieses Fensters so eilig gehabt, dass noch nicht einmal ein Buntfoto angefertigt wurde. Eine Entwurfszeichnung für die Fenster ist bis jetzt noch nicht gefunden worden. Man kann nur hoffen, dass das Meistermannfenster nicht dasselbe Schicksal erleiden muss, wenn wieder einmal die Moden wechseln.

 

Wir danken der Bildagentur Foto-Marburg, die uns das Bild ohne Berechnung zur Verfügung gestellt hat.